Roberta Edegger-Tax der 432. Generation der Bäckerfamilie hätte sich das ja nie gedacht.
Wer dachte schon an die Weltherrschaft, wenn das Schmelzwasser der Pole die Ufer flutete, der Himmel kurz vor dem Platzen war und die Menschen ganz blass und grau von den langen Leben und den ewigen Saftkuren durch die Innenstadt geisterten? Die Discounter hatten in den letzten Jahren mit Aufbackbrotwaren aus Quallen und Insekten die Massen begeistern können: Proteinreich, kalorienarm und ressourcenschonend produziert.
Zeitgleich war aufgedeckt worden, dass in der Bäckerei nicht Maschinen, sondern Menschenhände die Brotteige walkten, die Konsumenten schrien auf: Um Gottes willen! Die Keime! Schon titelte die Presse »Gesundheitsbehörde ruft Brot zurück«. Dem Ruf folgten bald alle Brotlaibe des Landes, erst die Steinofenbrote, dann die Mehrkorn-und Kürbiskernlaibe etwas langsamer, weil ihnen die vielen Körner schwer in den Muskeln saßen, trotzig kamen die Dinkelteigbrote hinterher, selbst die faulen Baguettes schleppten sich ins Exil: Ja, es war keine leichte Zeit für das Brot im vierten Jahrtausend.
Roberta Edegger-Tax der 432. Generation lag nachts wach in ihrem Zimmer über der hölzernen Fassade in der Hofgasse. In ihrer Umarmung hielt sie das letzte Steinofenbrot, das ihr wild zappelnd die Unterarme aufriss. Sie dachte an die Unmöglichkeit der Liebe und des Weizenbrotes. Bitte verlass mich nicht, sagte sie, bleib bei mir, bleib bei mir. Die Bäcker einen Stock unter ihr schauten traurig in die leeren Öfen und schminkten sich mit Mehl Schnurbärte und Kriegsbemalungen in die Gesichter. Draußen tobte der Kohlehydratekrieg. Gepuffter Quinoa sei das einzig Wahre, schrieb sich das eine Land ins Manifest, Amaranth schrie das benachbarte, Buchweizen das nächste. Es war eine Welt, in der sich die Grenzen straffer zogen, in der man die Unterschiede und nicht die Gemeinsamkeiten unterstrich, ja dumm war der Mensch, der kein Brot aß, in dieser Welt lag Roberta Edegger-Tax der 432. Generation also wach und weinte auf das Steinofenbrot in ihren Armen. Die Kruste hielt dennoch, blieb knusprig wie eh und je.
Ach, seufzte Roberta Edegger-Tax der 432. Generation, wie früher.
Sie beschloss einen Spaziergang zu machen. Nachts war es ungefährlich, selbst für sie als Bäckermeisterin. Über den Freiheitsplatz den Schlossberg hoch. Dort saß sie auf einem Stück Wiese und sah in die Ferne. Sie stellte sich die Hügel als warme, ofenfrische Semmeln vor, stellte sich vor, wie die Oberfläche einriss und sie sank in den weichen Teig, welch Wunder der Chemie, der Enzyme sei Dank, sie sank und sank und sank…..
Sie erwachte im Morgengrauen mit Gesicht zum Boden gewandt und sie schmeckte: Brot. Ja, sie schmeckte tatsächlich Brot, sie hatte Erde im Mund, doch sie schmeckte Brot, sofort riss sie mit ihren Fingern die Wiese weiter auf, sie grub und grub, alles was sie fand, war feinster Brotteig. Die nächsten Tage behielt sie das Geheimnis für sich. In allen Ecken der Stadt grub sie den Boden auf, sie ließ Bäckermeister und Wissenschaftler testen, ja, das war perfekt aufgequollener Sauerteig, eindeutig. Der Mensch hatte den Boden vergessen. Er hatte die Nasen hochgestreckt und nur gesehen, dass andere Berge höher und manche Täler in anderen Ländern tiefer waren, dabei hatte er den Boden vergessen, der überall der selbe war.
Es war ein Montagvormittag, als sie vor die Öffentlichkeit trat.
Sehr geehrte Erdenbewohner und – bewohnerinnen, verkündete sie, die Erde ist ein Brotlaib.
Die Resonanz war beachtlich. Auf allen Kontinenten stürmten die Menschen los und gruben in die Erde, sie labten und leibten sich in Brot. Sie mussten nur endlich die obere Kruste einbrechen, darunter saftiger, weicher Teig. Sie tauchten in die Luftlöcher, bauten sich Höhlen und Gruben und Tunnel in andere Länder, dort fielen sie den fremden Menschen in die Arme, die nun keine Fremden mehr waren, wenn wir doch alle auf dem selben Brotlaib lebten, was sollte uns denn unterscheiden?
Roberta Edegger-Tax der 432. Generation betrachtete das Weltgeschehen wohlwollend und stillschweigend aus ihrer Bäckerstube. Mehrmals wurde sie gebeten, sich als Präsidentin des Brotlaibes zur Wahl zu stellen (denn Republiken gab es keine mehr, warum auch?), doch sie lehnte dankend ab. Was tat sie denn, wie ging es ihr? Heiß war ihr geworden. Denn die Öfen heizten wieder. Die Menschen wollten wieder Brot, mehr als je zuvor. Es war doch besser warm und frisch gebacken aus dem Ofen als aus dem Boden. Man wollte sich ja nicht den Boden unter den Füßen wegessen!
Roberta Edegger-Tax tat es deshalb den vorhergehenden 431 Generationen gleich: Sie stand in der Bäckerstube in der Hofgasse und backte. Eines Nachts öffnete sie die Tür. Zufrieden war sie, als sie ihrem Steinofenbrot zusah, wie es durch die Straßen lief, einer fröhlichen Zukunft entgegen.